Die Zahlen erschrecken: Jeder fünfte Auszubildende bricht seine
Lehrstelle ab. Jeder fünfte Schulabgänger gilt als nicht ausbildungsreif.
Was ist los mit der Jugend? Experten sind ratlos.
Spitzenreiter im Krankenstand seien seine Azubis.
Von der Berufsschule kämen Briefe, dass die
Lehrlinge dort auch immer wieder fehlten. Und bei
zeitlich drängenden Aufträgen "weisen sie zwanzig
Minuten vor Arbeitsschluss undezent darauf hin, in
Kürze Feierabend zu haben" - der Unternehmer Lutz
Irgel, 70, regt sich auf über die jungen Leute in
seinem kleinen Bornheimer Chemiebetrieb.
"Weibliche Azubis zeigen, was sie - optisch - zu
bieten haben, legen handbreit unter dünnem T-Shirt
den Nabel blank, frösteln deshalb und arbeiten in
Büros, die bei 22 Grad Außentemperatur eigens
sonderbeheizt werden", so erzählt er schaudernd.
Zwar räumt er ein, dies seien Einzelfälle, doch er hält
sie für symptomatisch. Und das Sozialverhalten stört
ihn mehr als Lücken in der Schulbildung, die er fast
schon normal findet.
Ausbildungsfähig und ausbildungswillig?
Klagen wie diese sind im Arbeitgeberlager allenthalben zu hören. So heißt
es denn auch im umstrittenen Pakt für Ausbildung zwischen Wirtschaft und
Regierung, alle Jugendlichen sollten untergebracht werden, die - so die
markante Einschränkung - "ausbildungsfähig und ausbildungswillig" sind.
Das klingt eindeutig, ist es aber nicht. Am Montag etwa tüftelte wieder eine
Arbeitsgruppe in der Bundesagentur für Arbeit an den Begriffsdefinitionen.
Ohne klare Kriterien aber gibt es auch keine statistische Erfassung, exakte
Zahlen fehlen also.
Mit rund zwanzig Prozent bezifferte jüngst die Chefin des Nürnberger
Instituts für Arbeitsmarktforschung (IAB) die Menge der Schulabgänger,
die nicht ausbildungsreif sind. Dabei stützte sie sich auf die Pisa-Studie zu
Mängeln 15-jähriger Schüler im Lesen, Schreiben und Rechnen. Dies lässt
sich aber nicht eins zu eins auf die Lehrstellenbewerber übertragen, wie es
Wirtschaftsvertreter gerne tun.
Zum einen: Wer von der Bundesagentur für Arbeit als ausbildungssuchend
geführt wird, muss vorher zum Berufsberater. Und der schickt Jugendliche
mit schweren Defiziten erst einmal in Berufsvorbereitungsjahre; soweit
zumindest die Theorie. Zum anderen sind es vor allem Mängel bei
Durchhaltevermögen, Teamfähigkeit, Höflichkeit, auf die es ankommt;
derlei aber misst Pisa nicht.
Infobusse auf Schulhöfen
So attackieren Gewerkschafter Pauschalurteile. Die Diskussion über die
Defizite der Bewerber diene dazu, "vom Hauptproblem abzulenken, dass
nämlich die Zahl der Lehrstellen einfach zu klein ist", wie Verdi-Jugendreferent
René Rudolf erklärt, der selbst erst 30 Jahre alt ist.
Dennoch: Auch er sagt, das Problem der Ausbildungsfähigkeit sei real. "Wir
sind uns da mit den Arbeitgebern einig: In der Schule muss etwas getan
werden", erklärt der Ausbildungsexperte der IG Metall, Klaus Heimann. Das
gelte gerade auch für die Sozialkompetenz, die manches Elternhaus
offenbar einfach nicht mehr vermittelt.
Arbeitgeber wie Gewerkschafter räumen ein, dass sie auch selbst mehr
helfen sollten. So treten hier und da bereits Azubi-Vertreter vor Schülern
auf, "um als fast Gleichaltrige zu erzählen, was im Betrieb Sache ist", wie
Heimann berichtet. Und der Arbeitgeberverband Gesamtmetall schickt
neun Infobusse über die Schulhöfe.
Tatsächlich bricht laut IAB jeder Fünfte seine glücklich ergatterte Lehre
selbst wieder ab; in einem großen Teil der Fälle deshalb, weil der
Jugendliche sich den Job anders vorgestellt hatte. Allerdings weisen Wissenschaftler
darauf hin, dass nicht einfach die Jugendlichen immer schlechter werden,
sondern die Anforderungen für viele Berufe heute viel höher sind als früher.
Und die Betriebe steigerten angesichts des Überangebots an Bewerbern ihre
Ansprüche, sagen die Arbeitsmarktforscher vom IAB. "Ganz schließen kann man die
Ausbildungslücke allein durch bessere Qualifikation derzeit nicht", sagt
denn auch der Experte von Gesamtmetall, Sven-Uwe Räß. "Das wäre gelogen."
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