Die Zahl der Online-Bewerbungen steig. So dynamisch wünschen sich Firmenchefs ihre Lehrlinge. Doch nicht immer wird diese Vorstellung auch Wirklichkeit. Gelegentlich prägen Frust und Missverständnisse den Alltag in der Ausbildung. Die Arbeitsmoral der Auszubildenden ist das Problem, sagen die Firmen. Über Frust und Missverständnisse im Job klagen die Berufseinsteiger.
Berlin. Fakt ist: 150 000 Lehrlinge brechen jedes Jahr ihre Ausbildung ab. Nun will das Institut
für angewandtes Wissen (IAW) auf beiden Seiten das Verständnis fördern. Rund 200
Unternehmen beteiligen sich. Vorgesetzte, diese unbekannten Wesen, was wollen die
eigentlich, wenn sie mal wieder klagen, dass Berufseinsteiger "mehr Werte brauchen"? Eine
klare Antwort kann IAW-Chef Uwe Döring-Katerkamp geben.
"Lernbereitschaft, Zuverlässigkeit, der Wille, Verantwortung zu übernehmen und
Teamfähigkeit" zählt er auf. Der Soziologe hat 172 Unternehmen befragt und eine
Wunschhierarchie der Werte erstellt. Ob Bayer, ThyssenKrupp, Agfa, Siemens, Shell oder
die Deutsche Bahn: "Diese Werte werden im Handwerk ebenso wie in kaufmännischen
Ausbildungen gewünscht", sagt er. Stattdessen passiert im Alltag so etwas: Der Azubi beordert
eine Fremdfirma zurück zur Baustelle, weil sie vergessen hat, ein Gerät umzusetzen. "Geht mich nix an", antwortet er dem Chef auf die Frage, warum er nicht selber angepackt hätte. Ein anderer reicht bei jeder Ausbildungsstation neue Urlaubsanträge ein - bis der Schwindel auffliegt. Ein
Dritter grüßt den Chef so lange nicht, bis Kollegen ihn auf den Fauxpas hinweisen.
"Jugendliche reagieren sehr unsensibel auf Dinge, die nichts mit ihrer persönlichen Welt
zu tun haben", sagt Döring-Katerkamp. "Dass sie sich daneben benehmen, kriegen sie häufig
nicht mal mit." Wertekonflikte ergäben sich auch regelmäßig, weil Lehrlinge in der Schulzeit recht autonom vor sich hingelebt hätten und erst im Unternehmen mit der Notwendigkeit konfrontiert werden,
wirklich zusammenzuarbeiten. Fazit des IAW Köln: Jugendliche müssen für Werte sensibel gemacht werden. "Dazu gehört auch, den Jugendlichen zu zeigen, was es wert ist, Teil der Gruppe zu sein", so der Projektleiter. "Unternehmen hingegen brauchen mehr Respekt für Azubis, weniger
Vorurteile, und auch das Bewusstsein, dass Jugendliche in der Arbeitswelt noch sozialisiert
werden müssen."
In dem Projekt "Mitarbeiter 2010 - welche Werte zählen", das aus öffentlichen Mitteln und Firmenbudgets bestritten wird, sollen nun in der zweiten Phase "Werte-Workshops" konzipiert
werden, die, so das Ziel des IAW-Chefs, von der kleinen Schreinerei bis zum Shell-Konzern für die eigene Belegschaft "kopiert" werden können. Über die NRW-Plattform "Partner für Schule" will
Döring-Katerkamp auch Lehrern und Schülern bis Ende 2006 ein Grundgerüst von Inhalten stellen,
das die Jugendlichen schon vor dem Berufseintritt für bestimmte Werte sensibilisiert.
"Ein Unternehmen hat mit jedem Lehrling, der im zweiten Ausbildungsjahr aussteigt, 50 000 Euro
in den Sand gesetzt", rechnet Döring-Katerkamp. Bei einer jährlichen Abbrecherquote von
20 bis 25 Prozent entwickelten sich Wertekonflikte im Betrieb zu einem ernsten Kostenfaktor. "Das kann sich eigentlich kaum noch ein Unternehmen leisten."
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